Glauben Sie etwa an diesen Schwachsinn?

...werde ich oft schockiert gefragt, wenn das Thema auf einer Party auf die Astrologie kommt und mich jemand "outet". Danach mustert mich mein Gegenüber irritiert, überlegt auffallend angestrengt, ob ich unter diesen Umständen überhaupt noch tragbar für eine weitere Konversation bin oder es sogar den eigenen Ruf schädigen könnte, mit mir gesehen zu werden.

Den Rest des Abends kann ich aber in der Regel vergessen, denn für die nächsten Stunden werden mir ungefragt zahllose Details des eigenen Lebens ins Ohr geflüstert. Sind die Bedenken doch zu groß, bittet man diskret um meine Visitenkarte – dann höre ich die Geschichten später in meinem Berliner Büro. Politiker, Banker, Künstler und Geschäftsleute erzählen mir dort intimste Dinge. Sie würden sich aber eher die Zunge abbeißen, als öfferntlich zuzugeben, dass sie bei mir waren. Und falls wir uns mal irgendwo treffen und einander nicht ausweichen können, werde ich anderen Leuten mit meinem „ehrbaren, bürgerlichen“ Beruf vorgestellt. Das hat eine gewisse Komik – ist aber sehr verständlich! Bis Mitte der 1990er Jahre empfand ich Astrologie selbst als Beleidigung für den gesunden Menschenverstand. Und wenn ich mich so durch verschiedene Zeitungshoroskoe blättere, tue ich das auch jetzt noch.

Nach meinem Studium arbeitete ich für einen Radiosender, in dem zum Jahresende mit konsequenter Regelmäßigkeit Astrologen und Wahrsager ihre Prognosen ins Mikrofon orakelten. Die Voraussagen hätten kaum plumper und beliebiger sein können. Trotzdem waren alle fasziniert, vom Chef bis zum Praktikanten. Eine Kollegin strahlte tagelang überglücklich, weil ihr eine Hellseherin für dreiste 500 DM Honorar prophezeit hatte, sie würde in einem halben Jahr heiraten und dann in kurzer Folge zwei Kinder bekommen (sie blieb kinderlos, hat aber immerhin ein Vierteljahrhundert später den Mann ihres Lebens gefunden). Sowohl die Frechheit der Wahrsager als auch die Wirkung ihrer belanglosen Worthülsen konnten kaum krasser sein. Wenn solcher Schwachsinn schon im Radio abgelassen wurde, was geschah dann hinter den Türen von Hellseherinnen, Astrologen und Kartenlegern? Ich begann mit der Recherche für einen Artikel und fand erwartungsgemäß reichlich Material.

Auf der Suche nach weiterem Zündstoff fiel mir in einem Antiquariat das vierbändige Werk „Astrologische Menschenkunde“ in die Hände – trotz des esoterischen Titels ein hoch faszinierendes Buch. Sein Autor, Thomas Ring (1892–1983), stellte sich entschieden gegen die Vorstellung, nach der die Sterne das Leben auf der Erde beeinflussen und dieses Wirken von den Astrologen gedeutet wird. Stattdessen drehte er den Kausalnexus (also die Ursache des zu deutenden Gegenstandes) um 180 Grad. Seine These: Die Sterne bewirken nicht, dass bestimmte Dinge auf der Erde passieren. Stattdessen ist das irdische Leben fest in die kosmische Ordnung eingebettet, innerhalb der auch die Erde ihre Bahn durch unser Sonnensystem zieht. Ring lehnte also Wirkungen von außen und Schicksalsprognosen ab. Seiner Meinung nach gäbe es in der kosmischen Rhythmik aber Synchronizitäten. Bestimmte Vorgänge "im Kleinen" hätten also zeitgleiche Entsprechungen in astrologischen Konstellationen (nicht zu verwechseln mit dem wahren Sternenhimmel), obwohl beide nicht kausal zusammenhängen. Welche irdischen Dinge dafür in Frage kommen, begrenzte Ring konsequent. Er verwahrte sich gegen starre Deutungsregeln, jede Form von Vorherbestimmung und konkrete Ereignisprognosen. Diese Argumentation ließ sich zumindest nicht spontan widerlegen.

Je länger und intensiver ich recherchierte, desto stärker wurde mein innerer Konflikt. Es gab viel logische und nachvollziehbare Kritik an der Astrologie. Bei näherer Betrachtung bezog sich diese jedoch entweder auf deren Vulgärvariante sowie die Unfähigkeit, diese von „ernsthaften“ Untersuchungen zu trennen, oder fußte auf Unkenntnis der Materie und Vorurteilen: Seien es die Tierkreiszeichen, die sich am Himmel verschoben hätten, sodass die Astrologie heute auf ein völlig veraltetes Bezugssystem zurückgreifen würde, oder die schlichte Feststellung, dass die Planeten ja viel zu weit von der Erde entfernt seien, um überhaupt mit irdischen Vorgängen in Verbindung gebracht zu werden. Stimmt alles, aber arauf basieren die Thesen der Astrologie ja auch nicht.

Gleichzeitig studierte ich zahlreiche wissenschaftlich angelegte Untersuchungen, die bei der Prüfung möglicher Übereinstimmungen von kosmischen Rhythmen und irdischen Vorgängen zu beeindruckend eindeutigen Ergebnissen gekommen waren. Meine "Erfolgs"erlebnisse im praktischen Umgang mit dem astrologischen System wuchsen mit Kenntnis der Materie. Wenn alles Blödsinn war, wieso konnte ich dann das Wesen von Menschen, die ich nie zuvor gesehen hatte, auf Grund ihrer Geburtsdaten so zutreffend beschreiben? Warum waren Freunde und Bekannte derart berührt von der offensichtlichen Stimmigkeit meiner Aussagen? Und warum fühlt sich Zeit unterschiedlich an: mal locker, entspannt und schnell und zu anderen Zeiten traurig, erfolglos und zäh?

Seit diesem Zeitpunkt habe ich vieles versucht, um hinter das Geheimnis der Astrologie zu kommen: verschiedene Ausbildungen zum Thema durchlaufen, die Werke bedeutender Astrologen von der Antike bis zur Gegenwart studiert, deren Methoden ausprobiert, wieder verworfen oder als praktikabel befunden; später die Grundprinzipien der Astrologie selbst gelehrt und in Publikationen beschrieben. Noch immer träume ich von einer groß angelegten wissenschaftlichen Studie zum Thema. Und weiß doch, dass der Datenschutz und unsere (noch) Unfähigkeit, Emotionen nach einer standardisierten Methode zu erfassen, dies weiterhin verhindern werden.

Nach der Deutung mehrerer tausend Horoskope bin ich weiterhin fasziniert, welche Vielzahl an Informationen sich – trotz enger Aussagegrenzen der Astrologie – aus den unscheinbaren Grafiken herauslesen lassen. Noch immer kann ich nicht erklären, warum dieses uralte System in der Praxis funktioniert. Und noch immer ärgere ich mich maßlos über den extrem hohen Prozentsatz an Scharlatanerie.

Ich erstelle keine Horoskope für Fremde mehr. Aber wenn Sie mögen, dann probieren Sie einfach selbst an Ihrem Horoskop, dem Ihres Partners, von Familienmitgliedern, Freunden oder Kollegen aus, was an der Astrologie dran ist. Meine Website und die darauf vorgestellten Hilfsmittel sollen Sie dabei unterstützen.